Nachdenklich bleiben

Wir in Reinickendorf • 05/2011

Erinnerungen an Anton Saefkow

von Werner Wüste

Solcher Hergang ist denkbar. Ein junger NPD-Mann ist stolz auf seinen Großvater. Der war, wie viele seinesgleichen, „gen Ostland geritten“, „Lebensraum“ zu erobern und die Bolschewisten zu verprügeln, („Jeder Schuss ein Russ!“, wie im Ersten Weltkrieg), „Blut und Ehre“ stand auf seinem Koppelschloss, Gehorsam und Treue „bis in den Tod“ hatte er auf „den Führer“ geschworen; aber, um es salopp zu sagen: die Sache war ihm nicht gut bekommen, irgendwo in den Pripjet-Sümpfen (was suchte er da eigentlich?) wäre er beinahe verblutet. Beinahe. Und nun liest jener junge Mann, - so unwahrscheinlich es ist, dass er liest und dass er gerade dieses Buch liest – folgende Zeilen:

„Mitten im Zweiten Weltkrieg fing man im Zuchthaus Brandenburg sofort das Blut Hingerichteter, wie z.B. Anton Saefkows, auf, um es als Konserve zu verwenden. So bekam mancher deutsche Verwundete kommunistisches Blut, falls man sich der Auffassung anschließt, Blut spiele die ihm von den nazistischen Ideologen zugedachte Rolle.“

(Heinz Knobloch, Der arme Epstein, Aufbau Taschenbuch Verlag 1996, S. 179)

Was nun? Das Leben des heldischen Großvaters, indirekt also gar das eigene Leben, kommunistischem Blut zu danken? Eine mögliche Assoziation, ein möglicher Zusammenhang. So unwahrscheinlich wie wahrscheinlich, denkbar in zigtausend Variationen.

Sprung in eine andere Ebene. Es war Dezember 2007, Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg. Antrag der NPD-Fraktion: DerAnton-Saefkow-Platz möge umbenannt werden in Waldemar-Pabst-Platz.

EineProvokation. Und die nächste folgte auf dem Fuße. Für den 13. Januar 2008 meldeten die Neonazis einen Marsch durch den Weitling-Kiez an. Ein Gegenaufmarsch sollte das werden, am Tag der alljährlichen Ehrung für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in der Gedenkstätte der Sozialisten. Hier sollte man einen Augenblick lang nachdenklich inne halten: Der Name des Antifaschisten und Kommunistensollte getilgt, der des Freikorpsmannes sollte geehrt werden; Pabst, führend beteiligt am Kapp-Putsch, der die schwächliche Weimarer Demokratie durch eine nationalistische Diktatur ersetzen wollte, Generalstäbler der Reichswehr, verantwortlich für die Morde an Karl und Rosa. Kein Zusammenhang? Nicht des Nachdenkens wert? Wittern sie etwa Morgenluft?

„Sie suchen nun die offene Konfrontation mit den Linken, nicht mehr mit einzelnen Gruppierungen, sondern mit dem gesamten linken Spektrum in diesem Land...Diese Kampfansage basiert auf einem besonders militanten, Mord offen rechtfertigenden Antikommunismus.“

(Sprecherrat der Kommunistischen Plattform in Heft 2/2008 der „Mitteilungen“)

Woher dieser Hass? Welchen Zusammenhang gibt es vielleicht mit gegenwärtigen Interessen oder Intentionen? Wer war Anton Saefkow?

Die Literatur ist reichhaltig. Es wäre ein untauglicher Versuch, hier sein Leben beschreiben zu wollen. Aber an sein Wirken in den letzten Lebensjahren, an seine Ideen, an seinen Einsatz gegen die Krieg führenden Nazis muss erinnert werden, will man Antwort auf obige Fragen.

Hans-Rainer Sandvoß schloss im Januar 1992 die sechste Veröffentlichung über den Widerstand in Berlin ab: Pankow und Reinickendorf, eine lesenswerte, sehr faktenreiche, sachliche Schrift wie ebenso die anderen Sandvoßschen Hefte. Und Quelle der folgenden Zitate: „Nach der Zerschlagung der Gruppe Uhrig (1942) unternahm es der Berliner Anton Saefkow 1943 zusammen mit dem aus Hamburg geflüchteten Franz Jakob, eine neue Inlandsleitung der KPD aufzubauen. Es gelang ihnen, ein Kontaktnetz zu knüpfen, das in über 70 Berliner Betrieben (unterschiedlich starke) illegale Zellen unterhielt... Neben der allgemeinen politischen „Agitation“ lag die Hauptaufgabe der Saefkow-Jacob-Gruppe im Aufruf zur Sabotage der Rüstungswirtschaft, um den Zusammenbruch der NS-Diktatur und damit das Ende des Krieges zu beschleunigen. Sie strebten ein enges Bündnis aller Regime-Gegner an ...“ (S. 141/42)Und an anderer Stelle: „Auch von seiner politischen Konzeption her wollte er, über den engen Rahmen der alten KPD hinaus, ein breites, antinazistisches Bündnis mit Sozialdemokraten und bürgerlich-militärischen Gegnern schaffen... Nicht zuletzt in Kreisen der Verschwörer des 20.Juli 1944 und des christlich-sozialistischen Kreisauer Kreises wurde hart darum gerungen, ob man Gesprächsmöglichkeiten mit Kommunisten nutzen solle.“ (S. 147)

In der Haft, weiß Sandvoß zu berichten, verfasste Saefkow sein „politisches Testament“. Mithäftling Walter Mickin hatte es auswendig gelernt. Neben Flugblättern, in denen sich die Saefkow-Gruppe an die Wehrmachtssoldaten wandte („Lieber Kamerad, dies ist nicht der erste Brief ...“) oder z.B. einem „Merkblatt für die zur Wehrmacht eingezogenen Genossen“ gehört es zu den bemerkenswertesten Dokumenten des Widerstands überhaupt. Unter Anton Saefkow, Widerstand im 3.Reich, kann man es im Internet finden. Fünf Schlüsselsätze mögen das politische Gewicht dieses Testaments deutlich machen: „Punkt 1: Rottet den Faschismus aus mit Stumpf und Stiel! Punkt 2: Wählt in allen Betrieben nicht Interessenvertretungen, sondern eure Machtorgane! Punkt 3: Duldet nur eine Gewerkschaftsbewegung! Schafft einheitliche Klassengewerkschaften mit revolutionärer Gewerkschaftspolitik und Wahl aller Funktionäre durch die Mitgliedschaft! Punkt 4: Sorgt für breiteste Demokratisierung. Baut das neue Deutschland auf der Grundlage der Volksausschüsse! Punkt 5: Wir Kommunisten sind ohne jede Tarnung offen und ehrlich in der nationalen antifaschistischen Einheitsfront. Wenn wir um der Einheit willen bewusst manche Forderungen zurückstellen, so weiß doch jeder, dass wir unser Fernziel nicht aufgeben...“

Es gibt keinen unmittelbaren Anlass, jetzt an Anton Saefkow zu erinnern. Einen runden Geburtstag zum Beispiel. Oder ein anderes Jubiläum. Aber es gibt tausend Gründe, ihn nicht zu vergessen. Mit leichtem Sarkasmus gefragt: Haben wir uns wohl daran gewöhnt, dass wir immer und vielleicht sogar nur zu Gedenktagen Gedenken „veranstalten“? Brauchen wir äußerliche Anstöße, Anlässe? Zugespitzt: Verkommt Gedenken zur Routine?

Ein Gespräch mit zwei Reinickendorfern fällt mir ein, Helmut Walz und Andreas Raue vom Arbeitskreis Lidice, die auf eine entsprechende Frage fast im Chor antworteten: „Routine? Ja, Routine ist eine ständige Gefahr, die sehen wir auch … Rezepte gibt es nicht, das ist das einzige Rezept.“ (WIR 06/2010)

Wie kommt es, dass wir den Sklaven Spartakus nicht vergessen, nicht den kämpferischen Theologen Müntzer? Warum erinnern wir uns der beiden Berliner Lehrlinge, die 1848 im Kampf um ein demokratisches, einiges Deutschland auf der Barrikade ihr Leben ließen? Warum ziehen Jahr für Jahr im Januar Zehntausende zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht? Die Namen stehen stellvertretend für viele, viele andere. Einer dieser anderen Namen ist Anton Saefkow.

Als ich von der WiR-Redaktion gefragt wurde, ob ich wohl über Anton Saefkow schreiben würde, habe ich nur kurz gezögert. Für mein ziemlich spontanes Ja steht meine Überzeugung: Gedanken an Menschen wie ihn müssen wir lebendig erhalten. Sie können uns helfen, nachdenklich zu bleiben, nicht irgend einer Routine zu erliegen, Fragen zu stellen; sehr oft ein erster Schritt, Antworten zu finden. Und auch in ihrem Namen stellen wir uns jenen Kräften entgegen, die uns unsere Würde nehmen wollen