Klarer Theologe und tapferer Hirte

Wir in Reinickendorf • 04/2012

Ein Pfarrer im Widerstand gegen die Nazis

„Die Kirchengemeinde kann sich somit rühmen, als Stätte christlichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus in die Berliner (Kirchen-) Geschichte einzugehen.“ Ein durch­aus bemerkenswertes Zitat aus der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum der Evangelischen Kirche Alt-Tegel.

Im Oktober 1894 wurde die evangelische Kirchengemeinde Tegel, da­mals mit 2 740 Einwohnern, mit eigener Pfarrstelle selbständig. Im Zuge der Eröffnung der Borsigschen Fabrik 1898 wuchs die Gemeinde mit den zu­ziehenden Arbeitskräften schnell auf 15 000 an, eine größere Kirche wurde nötig. Der Einweihungsgottes­dienst fand am 19. Januar 1912 statt.

Versuch der Gleichschaltung

Am 1. August 1923 trat ein neuer Pfarrer, Wil­helm Beschoren, eine von drei Pfarrstellen in Tegel an. Er war zuständig für den Tegeler Ostbereich, heute Neu-Tegel. Sein Tagebuch berichtet: „Sonnabend, 24. Juni 1933, hatte der nationalsozialistische Kultusminister Rust, Staatskommissare für unsere Kirche eingesetzt… Nun folgte Schlag auf Schlag. Jede Gemeinde erhielt ihre Kommissare. Zwei Mitglieder der kirchlichen Körperschaften sollten vom Vorsitzenden dafür namhaft gemacht und dann von Staatskommissaren im Konsistorium ernannt werden…“.

Die Gleichschaltung der christlichen deutschen Kirchen durch die Nazis ging in die entscheidende Phase. Einige hatten sich aber schon vorher deren menschenverachtender Ideologie verweigert. „Der Zustand, der durch die drei Pfarrer Dr. Scho­walter, Beschoren und Dr. Palmedo in Berlin Tegel vor dem Jahre 1933 vorlag, ist nach Aussage unpolitischer Kirchenführer als unwürdig zu bezeichnen. Alle drei Pfarrer tragen somit die Verantwortung dafür, dass viele Mitglieder der NSDAP wie auch der evangelischen Gemeinde aus dem kirchlichen Leben ausgeschieden sind.“ Ein unfreiwilliges Kompliment des „NS-fanatischen“ Hilfspredigers Günther Minia 1936 in einem Schreiben an den Pankower Superintendenten.

Gegenpol Bekennende Kirche

Die Durchsetzung des Gemeindekirchenrats (GKR) mit Deutschen Christen (DC), die eng mit der NSDAP- Ortsgruppe verflochten waren (53 von 57 Sitzen), machte es spätestens ab Mitte 1933 Pfarrer Beschoren immer schwerer, seine Positionen zu vertreten. Als Mitglied der „jungreforma­torischen Bewegung“ und des Pfar­rernotbundes prozessierte er gegen Versetzungsversuche durch den GKR, wurde er sogar später dessen Vorsitzender, verweigerte aber die Zusammenarbeit. Es gelang ihm lange Zeit, NS-Pfarrer aus Tegel fernzuhalten. Beschoren sammelte verbotene Kollekten gegen die gleichgeschalteten Organe für die „Bekennende Kirche“.

Zwischen August 1934 und Januar 1935 organisierte der Pfarrer eine Notgemeinde um sich. Gottesdienste fanden in Vereinszimmern von Gaststätten, später in einer leerstehenden Villa des Geheimrats von Heinz in der Gabrielenstraße statt. Die örtliche NSDAP versuchte zu stören, bedrohte die Vermieter, zeigte Be­scho­ren bei der Gestapo an - ohne Erfolg.

Nach Wiedereinsetzung in sein Amt im Januar 1935, die Gerichtskosten trug der GKR, in dem die DC nach wie vor die Mehrheit hatten, mussten dem Pfarrer ausstehende Gehälter ausbezahlt werden. Der Tegeler „Kir­­chenkampf“ nahm eine neue Wendung. Pfarrer Beschoren später: „Alle, die ihnen dabei mitgeholfen haben, haben Totengräberdienste nicht nur an der Kirchengemeinde und an dem evangelischen Glauben, sondern auch am deutschen Volk getan. Sie dürfen und werden ihrer Strafe nicht entgehen.“

Manche Haltung gebärt Hass

Noch vor Ausbruch des Krieges 1939 wurde Wilhelm Beschoren zur Wehrmacht eingezogen. „Man wollte ihn endlich weghaben aus Tegel…“, so seine Tochter später. Nach einer Beinamputation wurde er 1941 entlassen, nahm im Herbst seine pfarramtliche Tätigkeit in Tegel wieder auf. Der GKR hatte längst jeden Rückhalt in der Gemeinde verloren, und der antichristliche Kurs der NSDAP stieß auf Ablehnung. Auch Pfarrer Beschoren bewahrte weiter seine Haltung, verweigerte z. B. die Fürbitte für den „Führer“ im Gebet. Eine Provokation, die ihm den Hass der Nationalkirchler sicherte, doch auch die Versuche, ihn in den Ruhestand zu versetzen, scheiterten an seinem Widerstand .

Im November 1943 wurde die Tegeler Kirche durch Luftangriffe schwer beschädigt, Anfang 1944 auch das Pfarrhaus. Die Wiederherstellung wurde durch die Nazis verweigert. So nahm man der Gemeinde die wichtigen Versammlungsräume. Genutzt hat es nicht.

Das „Reich“ in Trümmern

Pfarrer Beschoren nach dem Zusammenbruch 1946 an die Gemeinde: „Das „Dritte Reich“ liegt in Trümmern, die braunen Machthaber und ihre kirchlichen Handlanger, die ‚Deutschen Christen‘ und ‚National­kirchler‘ sind dahin. Noch aber steht die evangelische Kirche Deutschlands, an deren Aushöhlung sie zielbewußt gearbeitet haben…“

Und noch einmal der Pfarrer: „Die wenigen aber, die nicht vor den nationalsozialistischen Götzen in die Knie gesunken, sondern aufrecht geblieben sind, haben nicht nur das beruhigende Bewusstsein, als Evangelische und Deutsche unter den schwierigsten Verhältnissen und oft in scheinbar aussichtsloser Lage ihre Pflicht getan… Die Standhaften brauchen das Gericht der Geschichte nicht zu scheuen!“ *

Pfarrer Wilhelm Beschoren, ein Mensch, der Menschenver­ach­tung, Ausgrenzung und Denunzian­tentum nicht mit seiner Vorstellung von Christentum vereinbaren konnte und wollte. Sein Leben zeigt auch, niemand musste Nazi werden. Ein Aufrechter unter zu vielen Opportunisten, der sicher zum Vorbild gereicht.

 Jürgen Schimrock