Für Berlin. Nicht für Olympia.

Interview mit den zwei Gründungsmitgliedern des Bündnisses NOlympia Berlin Judith Demba (NaturFreunde Berlin) und Gabriele Hiller (Sportpolitische Sprecherin der Linksfraktion im AH)

Judith, mit deinem Namen ist ja bereits die NOlympia-Bewegung zu Beginn der 90er Jahre verbunden. Warum machst du jetzt wieder mit?

J.D. Heute wie damals bin ich davon überzeugt, dass eine Bewerbung für Olympische Spiele bzw. die Durchführung der Spiele in Berlin die komplett falsche Prioritätensetzung ist und als politischer Mensch sollte man nicht bei der Feststellung stehen blieben, sondern im Rahmen der Möglichkeiten aktiv werden, das habe ich versucht und freue mich, dass im Bündnis schon 16 Organisationen und viele Einzelpersonen aktiv sind.  Es hat sich im Vergleich zu den 90zigern kaum etwas zum Besseren gewendet. Berlins Schuldenberg ist so hoch wie nie und wächst weiter. Die sozialen Probleme in der Stadt nehmen zu, die Spanne zwischen Armen und Reichen wird größer. SPD und CDU ignorieren mit ihrer Entscheidung die Notwendigkeiten in der Stadt. Und ich möchte nicht, dass Berlin seine Vielfältigkeit und Quirrligkeit verliert, weil  die Stadt für junge Leute, Student*innen und Künstler*innen unbezahlbar wird.

Gabi, im Gegensatz zu damals hat sich ja Die Linke im Abgeordnetenhaus diesmal sehr schnell gegen eine Olympiabewerbung positioniert. Wie kam es dazu?

G.H.: Judith wies bereits darauf hin - die Situation Berlins hat sich in diesen über zwanzig Jahren nicht verbessert. Und nach unseren Erfahrungen im Umgang mit der hochverschuldeten Stadt, die wir in zehn Jahren Regierungszeit gemacht haben und in denen wir den Berliner Landeshaushalt konsolidiert haben, wollen wir nicht zusehen, wie die Stadt wieder ruiniert wird. Berlin hat im wahrsten Sinne des Wortes unzählige Baustellen, die als Pflichtaufgaben zunächst erst einmal angepackt und gelöst werden müssen, da sollte ein so teures Projekt wie Olympische Spiele hintenan stehen und nicht Priorität bekommen. Da waren wir uns in der Fraktion sehr schnell einig drüber.

An welche Baustellen denkt Ihr da?

J.D. Das sind ja viele, denen wir im Alltag ständig begegnen: Der BER ist ja nur die Spitze des Eisbergs, dazu kommen die Staatsoper, das ICC, der Steglitzer Kreisel. Der Rückkauf der GASAG kommt in der Koalition nicht voran. Der Neukauf von Wagen für die BVG ist ungeklärt. Straßen und Brücken müssen saniert werden, Schulsanierungen vorgenommen werden. Das Notprogramm, das der Senat zur Sanierung der Schultoiletten auflegen will, zeigt doch symbolisch zu gut, wie weit es in Berlin gekommen ist. Öffentliche Gelder gehören in die öffentliche Infrastruktur von der alle Berliner*innen was haben.

G.H. Und das alles sind doch Investitionen in Beton. Der Personalmangel, der in den Bezirken herrscht, wird ja kaum noch thematisiert. Mit wem sollen die Leute eigentlich zu Olympia sprechen, wenn da keiner ist? Investitionen in Bildung z.B. werden viel weniger möglich, wenn sich die Stadt auf eine Olympiabewerbung konzentriert.

Aber durch Olympia würde doch zusätzliches Geld von IOC und Bund in die Stadt kommen?

J.D.  Bisher gibt es vom Bund keinerlei Zusagen, und wenn, sind das durchlaufende Kosten. Die Investitionskosten für Sanierung, Bau und ggf. Rückbau für Sportanlagen, Olympisches Dorf, Mediendorf etc. und nicht zu vergessen, die Folgekosten werden zu Lasten des Landeshaushaltes gehen. Für die Großsporthallen, die während des Bewerbungszeitraumes Anfang der 1990ziger gebaut wurden, zahlt das Land jährlich allein als Zuschuss zur Deckung der Betriebskosten über 4 Mio. €, 2024 sind das schon 130 Mio. €, weil es gibt keine kostendeckenden Betreiberkonzepte gibt. Noch mehr Überkapazität wird nicht gebraucht, aber jede Menge Schulturnhallen. Das IOC kostet vor allem haben, die IOC Mitglieder haben viele teure Extra-Wünsche, die sie sich im  Host City Vertrag garantieren lassen.

G.H. Das alles würde unter sehr ungeklärten Haushaltsbedingungen für Berlin erfolgen. Die Schulden von ca. 62 Mrd.EU drücken die Stadt nach wie vor. Wie der Länderfinanzausgleich neu geordnet wird, ist noch unklar. Ab 2020 hat sich Berlin verpflichtet keine neuen Schulden mehr zu machen. Und wie sich die bisher günstige Zinssituation ändern und zu neuen Belastungen führen wird, ist völlig offen. Ein bisschen Zurückhaltung bei neuen, abenteuerlichen Projekten ist also durchaus angebracht. Es ist nicht unehrenhaft, nicht für OS zu kandidieren!

Aber der Sport würde doch von OS profitieren?

J.D.  Olympische Spiele  sind vor allem eine Kommerzveranstaltung, bei der der Sport zu Höchstpreisen, z.B. für die Fernsehrechte, vermarktet wird. Studien, zuletzt in London haben gezeigt, es gibt auch keine langfristige Vorbildwirkung. Wer was für den Sport tun will, sollte den Breiten-, Vereins- und Schulsport fördern. In all diesen Bereichen gibt es einen riesigen Sanierungsbedarf. Da würden die insgesamt über 100 Mio. €, die der Senat für die Bewerbungen 2024 und 2028 einplant schon besser aufgehoben.

G.H.  Die Stadt schafft es schon jetzt nicht, günstige Bedingungen für den Breitensport zu garantieren. Die Preise bei den Berliner Bädern sind enorm gestiegen. Das es z.B. im Bezirk Marzahn-Hellersdorf für 250T Einwohner kein Freibad mehr gibt, interessiert von den politisch Verantwortlichen kaum jemanden. Und das Strandbad Müggelsee harrt seit Jahren einer Sanierung, ist nur z.T. nutzbar. Dieses den Berlinerinnen und Berlinern wieder zugänglich zu machen, wäre doch eine dankbare und lösbare Aufgabe.

Vielen Dank für das Gespräch!