Vorgestellt

Peter Neuhof

Eigentlich muss Peter Neuhof hier nicht mehr vorgestellt werden. Der 95jährige Frohnauer ist das älteste Mitglied der LINKEN Reinickendorf. Als Sohn jüdisch-kommunistischer Eltern wächst er in Frohnau auf. Der Vater wird 1943 von den Nazis im KZ Sachsenhausen ermordet, seine Mutter überlebt nur knapp den Todesmarsch aus dem KZ Ravensbrück. 1945 ist Peter bei denen, die den  antifaschistischen Neuaufbau in Frohnau organisieren. Peter arbeitet seit Ende der 40er Jahre als Rundfunkkorrespondent der DDR in Westberlin - bis zur Abwicklung des DDR-Rundfunks Anfang der 90er Jahre.

Bis heute ist er ein gefragter Zeitzeuge und Mahner gegen Faschismus und Krieg. DIE LINKE Reinickendorf hatte ihn oft zu Gast, damit er aus seinem Leben berichten konnte, zuletzt vor einem Jahr. Die Anschlussveranstaltung wurde corona-bedingt bereits zweimal verschoben. Nun soll sie am 20. April im Fontanehaus stattfinden.

Lutz

Denke ich an Deutschland...

Damals in Deutschland: Es ist lange her und dennoch so nahe. Die Erinnerungen verblassen nie. Die Erinnerungen an die Jahre des Faschismus. Wie sollten sie auch verblassen. Töne der Nach – oder besser – der Neubraunen sind laut genug. In Zeiten der Corona-Pandemie wittern sie ihre Chancen, verbreiten die absurdesten Gedanken. Wie damals die Nazis. Nur, dass diesmal nicht die Juden an allem Schuld haben. Noch haben die Stimmen der Nazinachfolger wenig Gewicht, die BRD ist nicht Weimar aber... In Krisenzeiten kann sich das sehr schnell ändern. Die Geschichte lehrt uns das.

Also weiter gegen Rechts und jene, die da liebäugeln, eines Tages vielleicht die Braunen doch ins Bett nehmen zu können.

Damals in Deutschland. “Denke an deinen Vater und vergiss nichts”. Eine auf einem Zettel hinterlassene Mahnung meiner Mutter, bevor sie am damaligen Stettiner Bahnhof in einen Gefangenentransportwagen einsteigen musste. Ziel war das KZ Ravensbrück. “Vielleicht ein letztes Lebenszeichen” sagte sie einem Polizisten vom Begleitkommando und bat ihn, die Nachricht an mich weiterzuleiten. Der Polizist lehnte zunächst ab, zögerte, sah sich um und nahm ihn an sich. Wer auch immer der Mann war, der Brief erreichte mich.

Nein, ich vergesse nichts, und ich vergesse die Mörder meines Vaters nicht, die Mörder von sechzehn meiner engsten Angehörigen nicht, die in den Gaskammern einen qualvollen Tod sterben mussten. Aber ich vergesse auch nicht die mutige Tat des unbekannten Polizisten, der den Zettel in ein Kuvert steckte, frankierte und in den Briefkasten warf. Er war die Ausnahme von der Regel. Es war aber auch die Zeit, da in Stalingrad der Siegesrausch der Nazis sein Ende fand. Aber es agierten noch immer die Vollstrecker des faschistischen Rassenwahns, die Großen und die Kleinen, die Henker und die Schreibtischtäter. Sie alle hatten nur ein Ziel: Endlösung. Beschlossen am Wannsee, auf der berüchtigten Konferenz. Heydrich, der Organisator, der wenig später ermordet wurde. Ein anderer, der die Rassengesetze von Nürnberg begleitend kommentierte und damit den Massenmord an den Juden vorbereitete, jener unselige Globke, wurde später in der BRD wie unzählige Seinesgleichen reingewaschen und stieg zum unentbehrliche Staatsekretär von Kanzler Adenauer rauf. Auch ein Globke hatte natürlich von alledem nichts gewusst, nichts gehört.

Auch die Bewohner der Levetzowstraße in Berlin hatten nichts gehört, nichts gesehen, als ein Zug von Todgeweihten aus dem Sammellager sich zum Bahnhof Putlitzstraße bewegte, um von dort aus in die Todeslager transportiert zu werden. Marsch, Fahrt des Todes.

Als in Berlin – es war 1969 !! – endlich jenen der Prozess gemacht wurde, die über 30.000 Berliner Juden in den Tod geschickt hatten, sprach das Gericht den Hauptverantwortlichen für 46 Osttransporte frei. Der hatte, so fand es das Gericht, keinesfalls Beihilfe zum Mord aus niedrigen Beweggründen begangen. Eine Neufassung des § 50 Abs.2 des Strafgesetzbuches machte das möglich. Nicht tat- sondern täterbezogene Merkmale bildeten die Kriterien. 30.000 Juden ins Gas geschickt. Aber keine niedrigen Beweggründe der Täter! Und dann konnte der Mann beruhigt nach Hause fahren. Eben noch der Angeklagte und schon wohlhabender Geschäftsmann in Neuwied am Rhein.

Denk ich an Deutschland heute, dann bin ich nicht um den Schlaf gebracht, (frei nach Heine) weil heute so viele Menschen aufstehen gegen Neofaschismus und Antisemitismus, gegen Hass und Lügen. Aber, es gilt nach wie vor: “Menschen seid wachsam”. Das waren die letzten Gedanken des tschechischen Patrioten Julius Fucik, bevor er von den Nazis ermordet wurde.

Peter Neuhof