Einmischung in die eigenen Angelegenheiten

Wir in Reinickendorf • 6/2005

Gespräch mit einem Buch von Daniela Dahn

In dem titelgebenden Beitrag Ihres neuen Buches beschäftigt Sie die Erklärung des verstorbenen Günter Gaus, er sei kein Demokrat mehr - was er ohne jeden Zweifel in einem sehr hohen Grade war.
Warum hat er nicht einfach gesagt, er sei Demokrat, aber wir h
ätten keine Demokratie mehr? Sie hatten mit ihm darüber gesprochen.

Nach meinem Verständnis hatte Günter Gaus den genügsamen Aberglauben satt, die Demokratie allein könne gegen den Terror der Ökonomie noch ein schlichtender Ausgleich sein. Auch wenn er Begriffe wie System oder Kapitalismus nur sparsam verwandte, hatte er in <seiner> Zeitung, dem Freitag, doch wiederholt auf die neu zu stellende Eigentumsfrage verwiesen. Gleichzeitig sah er, dass dem Wähler hierzu keine Antwort abverlangt wird.

Das rüttelt erheblich an der Vorstellung, wir lebten zwar nicht in der besten, aber immerhin in der bestverfassten aller Welten.

Vor uns liegen Trümmer und Tabus. Das am besten gehütete lautet: Wenn die Demokratie nicht die Wirtschaft erfasst, ist sie keine.

Das am zweitbesten gehütete Tabu ist deshalb die historisch einmalige Reichtumsexplosion der vergangenen fünfzehn Jahre, also seit Untergang des Sozialismus. In Deutschland wächst der Reichtum seit Jahren deutlich schneller als die Wirtschaft. Noch schneller wachsen nur die Arbeitslosigkeit und die Staatsverschuldung.

Ist nicht ohnehin die Demokratie im Zeitalter des sich globalisierenden Kapitalismus eine Utopie?

Einst dem Demokratischen Aufbruch verschrieben, erfüllt mich der formal demokratische Abbruch des Gemeinwesens mit Trauer und Sorge. Dennoch bin ich bekennende Demokratin - und da dies offenbar nicht mehr genügt - in Gottes Namen auch Radikaldemokratin. Wenn die Demokratie uns zerrinnt, haben wir buchstäblich nichts mehr.

Das Defizit liegt nicht im Konzeptionellen, sondern in der demokratischen Durchsetzbarkeit dessen, was als vernünftig erkannt ist. Spätestens seit Rousseau ist zumindest die Richtung klar: <Die Menschenrechte müssen ergänzt werden durch einschränkende Bestimmungen über das Eigentum; sonst sind sie nur für die Reichen da, für die Schieber und Börsenwucherer>.

Die Forderung ist schon sehr alt, scheint aber immer dringlicher zu werden.

Doch im Zeitalter des kommerzialisierten Medienkretinismus wird es immer schwerer, Mehrheiten über kapitale Lobbyinteressen aufzuklären und sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Mit der Absicht, den Kapitalismus menschenfreundlicher zu machen? Das ist zeitweilig nur geglückt, als Systembruch drohte.

Es gibt keine systeminterne Lösung mehr. Die Demokratie braucht eine andere Wirtschaftsordnung. Genauer gesagt, die Menschen brauchen sie. Selbst die Eigentümer und Manager. Denn nur Fundamentalisten, stets auf der Suche nach dem dämonisch Bösen, übersehen, dass auch diese politischen Gegner hochbezahlte Gefangene der von ihnen selbst geschaffenen strukturellen Zwänge sind.

Sie äußern den Gedanken, dass eigentlich Volkshochschulen, Gewerkschaften und Bewegungen Kurse zur Demokratisierung der Wirtschaft anbieten müssten...

Aber auch die Umsetzung von Erkenntnis in Opposition und soziale Bewegung, die die Herrschenden zum Einlenken zwingt, ist nicht delegierbar; sie fällt in die Zuständigkeit jedes einzelnen unzufriedenen Bürgers. Demokratie bedeutet Einmischung in die eigenen Angelegenheiten. Sie ist institutionalisierte Interessenvertretung; wer sich nicht organisiert, dessen Interessen werden auch nicht vertreten. Am Abbruch der Demokratie sind wir selber schuld.

Demokratie als Einheit von Volkssouveränität, Grundwerte verteidigendem Rechtsstaat und Gemeinwohl verpflichteter Wirtschaftsordnung ist alternativlos. Demokratie oder Barbarei: Die Zeit läuft.

Daniela Dahn

In der DDR war sie Gründungsmitglied des Demokratischen Aufbruchs, einer Bürgerrechtsbewegung, die in der Wendezeit eine wesentliche Rolle spielte. In ihrem jüngsten Buch, fünfzehn Jahre später, schreibt sie vom demokratischen Abbruch.*)

Sie ist nicht die einzige, die an diesem Thema herumbeißt. Der Politikwissenschaftler Joachim Hirsch von der Goethe-Universität Frankfurt/Main fragte unlängst, wie weit wir die gegenwärtige politische Ordnung noch als liberale Demokratie konturieren können. Der Schriftsteller Günter Grass meint, die Demokratie habe sich dem Diktat des global flüchtigen Kapitals unterworfen.

Verwunderlich sei es darum nicht, wenn mehr und mehr Bürger sich empört, angewidert und schließlich resigniert abwenden und auf ihr Wahlrecht verzichten, das sich ihnen nicht als Recht der Wahl darstellt.

Allerdings: Wer Abbruch feststellt, muss auf neuen Aufbruch sinnen. Wir hoffen auf eine interessante Diskussion - nicht nur mit dem Buch, sondern mit der Autorin persönlich im Roten Laden.