Der archaische Erz-Engel von Heiligensee

Wir in Reinickendorf • 10-11/2014

Eine Hommage an Hannah Höch

von LiLo Joseph

Hannah Höch und Reinickendorf? Mehrerlei fällt mir dazu ein: Die erste Reinickendorfer Gemeinschaftsschule trägt diesen Namen, in Heiligensee liegt ein Hannah-Höch-Garten und im Lese-Kabinett des Museums Reinickendorf erinnert, neben 6 weiteren, vom Museum für beachtens- und erinnerenswert gehaltenen Personen, ein Schriftband an die „Graphikerin und Collage-Künstlerin des Dadaismus Hannah Höch“. Nicht zuletzt fällt mir die im Tegeler Wald, mit Blick zum Tegeler See aufgestellte Skulptur Der Archaische Erz-Engel von Heiligensee ein. Eine Hommage an Hannah Höch anlässlich des 100. Jahrestages ihrer Geburt vom Reinickendorfer Künstler Siegfried Kühl, nach Höchscher Art aus verschiedenen Materialien gebildet.

Spurensuche im Bezirk

Was veranlasst Wir in Reinickendorf zur Spurensuche? Wiederum ihr Geburtstag: Vor 125 Jahren, am 1. November erblickte diese sehr eigensinnige und aufmüpfige Frau im Thüringischen Gotha das Licht der Welt. Und da sie von ihren 88 Lebensjahren fast 40 Jahre in Heiligensee verbrachte, wollen wir an sie erinnern und ihrer gedenken, zumal von offizieller Seite in Reinickendorf bislang keine Ehrung oder Würdigung zu erkennen ist

Wir wollen hier nicht akribisch chronologisch ihrem Leben folgen, vielmehr nutzen auch wir ihre Methode, zerschneiden und trennen Vorlagen und Abläufe und fügen die gewonnenen Schnipsel zu einem Porträt dieser sehr mutig aufgetretenen und handelnden Frau. Schon allein das eigenwillig von ihr am Ende ihres Vornamens anhängte h ist Ausdruck ihres Anspruchs: Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch! Überdies ermöglicht es, ihren Namen vor und rückwärts zu lesen.

Kontakt zur Dada-Bewegung

Im Jahr 1912, da ist sie 23, verlässt sie ihr Elternhaus und geht nach Berlin, um zu studieren und Künstlerin zu werden. Für eine Frau zu Kaisers Zeiten keine Selbstverständlichkeit. Doch das ändert sich nach dem 1. Weltkrieg. Die entstandenen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bewegungen, Veränderungen und Strömungen erfassen die sensible Frau. Sie trifft auf die Berliner Dada-Bewegung und reiht sich in den Kreis dieser rebellischen Künstler ein. Die lehnen die alte, hergebrachte Kunst als Heuchelei ab und wollen etwas völlig Neues, eine Antikunst schaffen. Wortfetzen und rhythmisch vorgetragene Laute werden an die Stelle wohlgereimter Gedichte gesetzt. Das Publikum soll geschockt und aufgerüttelt werden.

Hannah Höch zerschneidet Zeitungen, löst die vorgefundenen Fotos und Texte aus ihren Sinnzusammenhängen und fügt sie neu zusammen. Die hierfür verwandten Bildmaterialien entnahm sie vornehmlich der im Ullstein Verlag in den Jahren 1919 bis 1920 erschienenen „Berliner Illustrirte“, die in millionenfacher Auflage herausgegeben wurde. Somit dürften die Originale leicht zu erkennen gewesen sein. So erfindet sie die Fotomontage. Ein Stilmittel, mit dem sie die Verhältnisse satirisch kommentiert und anprangert.

Private Beziehungen

In diesem Künstlerkreis begegnet sie George Grosz, die Brüder Wieland Herzfelde, John Heartfield wie auch den Künstler und bedeutenden Theoretiker der Berliner Dada-Bewegung Raoul Hausmann. Sie verliebt sich in ihn. Es wird keine glückliche Verbindung und endlich, nach 7 Jahren zermürbenden und konfliktreichen Auseinandersetzungen, trennt sie sich von ihm. Sie wird in ihrem Leben weitere Beziehungen eingehen, lebt neun Jahre mit der Schriftstellerin Til Brugmann zusammen, die sie über eine holländische avantgardistische Gruppe kennengelernt hatte. Schließlich trifft sie einen um 20 Jahre jüngeren Mann, Kurt Heinz Mattthies, der wegen exhibitionistischer Neigungen gegenüber Kindern straffällig wird. Hannah Höch jedoch hält zu ihm, sein Verhalten sei Krankheit, erklärt sie. Nach seiner Haftentlassung heiraten sie im Jahr 1938. Doch auch dies wird keine dauerhaft glückliche Verbindung. Nach etwa 6 Jahren verliert sie ihn an eine jüngere Frau. Fortan bleibt sie allein.

Collagen, Fotomontagen, Dada

Mit ihren Fotomontagen und Collagen hat Hannah Höch eine neue Kunstform geschaffen und die Kunstentwicklung wesentlich bereichert. Auf der als „Erste Internationale Dada-Messe“ im Jahr 1920 in Berlin gezeigten Ausstellung ist sie mit mehreren Werken, auch ihren recht berühmt gewordenen Puppen, sowie mit ihrer heute wohl bekanntesten Fotomontage „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ vertreten (heute anzusehen in der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin). Diese Ausstellung führte zu einer direkten Konfrontation der Dadaisten mit dem Militär.

Diffamiert und stigmatisiert

Ihre Arbeiten dieser Jahre verweisen auf ihre kritische Sicht der politischen Zustände und Verhältnisse in der Weimarer Republik. In der NS-Zeit dienten Ihre Werke dem späteren NS-Kunstinspektor Wolfgang Willrich als Beweis für „Entartete Kunst“. Hannah Höch wurde als „Kulturbolschewistin“ diffamiert, womit ihr Schaffen als verdammenswert stigmatisiert war. Im Nazi-Staat konnte sie nicht mehr ausstellen und nichts mehr verkaufen. Gegen sie, wie auch gegenüber anderen Künstlern der Moderne wurden Drohungen ausgesprochen.

Da Hannah Höch viele Dokumente der Dada-Zeit und Kunstwerke ihrer gefährdeten, und zu großen Teilen emigrierten, Freunde in ihrer Wohnung aufbewahrt hatte, setzte sie sich großer Gefahr aus, die nach Kriegsausbruch noch weiter zunahm. Um Nachstellungen und Verfolgung zu entgehen, suchte sie nach größerer Sicherheit und fand sie endlich am Stadtrand von Berlin in einem kleinen Häuschen mit Garten.

Der Garten als Refugium

Im September 1939 kaufte Hannah Höch im abgeschiedenen Heiligensee das Haus An der Wildbahn 33. Ihre Liebe zur Gartengestaltung, in ihrer Kindheit und Jugend vom Vater gefördert, ermöglichte ihr ein neues Betätigungsfeld. Den Jahreszeiten folgend legte sie ihren Garten an. Ihr, noch heute vom jetzigen Bewohner, dem bildenden Künstler Johannes Bauersachs, liebevoll erhaltenes und gepflegtes Refugium. Beides, Haus und Garten, sind seit 1995 unter Denkmalschutz gestellt. Auf dem Heiligenseer Wochenmarkt konnte sie Früchte, Blumen und Kräuter verkaufen. Friseur, Bäcker und andere „Lieferanten“ entlohnte sie mit ihren Bildern. So konnte sie das „Tausendjährige Reich“ und auch die schweren Nachkriegsjahre überstehen.

Etwa ein halbes Jahr nach Kriegsende, im Herbst 1945, begann sie ein an die Öffentlichkeit gerichtetes Tagebuch zu schreiben. Sie appelliert: „KRIEG bedeutet: Tod, Jammer, Abschied, Verzweiflung, Schmerzen, Heimatlosigkeit, Verarmung, Kälte bis zum Verhungern, unaussprechliches Elend. Ich werde versuchen vieles festzuhalten, zurückzuerinnern was sonst die Zeit aus dem Gedächtnis auslöscht, aus diesen verzweiflungsvollen 12 Jahren“.

Anerkennung als Künstlerin

Bald nach Kriegsende erfuhr sie eine erste Anerkennung als Künstlerin: ihr wird die höchste Lebensmittelration in Form der Lebensmittelkarte 1 zugesprochen. Diese Unterstützung verdankte sie dem im August 1945 gegründeten Kulturbund (der zu Beginn des Kalten Krieges in Westberlin verboten wurde). Hannah Höch wurde Mitglied und beteiligte sich an dessen Ausstellungen. Sie arbeitete an Zeichnungen weiter, die sie auf ihren Reisen mit ihrem einstigen Partner unternommen hatte, setzt sie nun in Aquarelle um. Aktiv nahm sie auch an der Bildungsarbeit des Reinickendorfer Kulturamts teil und hielt Vorträge zu Themen wie „Frauen und Kunst“ oder „Über die unvoreingenommene Art ein Kunstwerk zu betrachten: Warum? Wie? Zu welchem Zweck?“ Freunden vertraute sie an:“ Es peitscht mich immer das - nachholen, nachholen … es strömt und darum will ich auch noch nicht abtreten und wehre mich mit allen restlichen Kräften dagegen, auch noch zum Opfer dieser 12 Jahre zu werden“.

Wenngleich sie bereits im Februar 1946 in einer Berliner Galerie an einer Gruppenausstellung teilnehmen konnte, vollzog sich ihre internationale Anerkennung als Künstlerin nur langsam und erst Mitte der 50er Jahre wuchs das Interesse an ihren Arbeiten.

Voller Hochachtung bekennen wir heute: Hannah Höch hinterließ uns ein reiches Werk, das noch weiter erschlossen sein will.