SPD, Grüne und FDP versuchen, sich mit dem Wahlrecht politischer Konkurrenz zu entledigen

Ein Interview mit Gregor Gysi | Von Klaus Singer (aus info links 01/2024)

Wie schätzt du das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Wahlwiederholung in Berlin ein?

Das Gericht hat deutlich gemacht, dass Bundestagswahl und Abgeordnetenhauswahl durchaus unterschiedlich zu betrachten sind.

Du, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann habt mit dem Gewinn eurer Direktmandate dafür gesorgt, dass Die Linke wieder als Fraktion in den Bundestag einziehen konnte. Wie gestaltet sich jetzt die Arbeit ohne Bundestagsfraktion?

Richtig, Sahra Wagenknecht und die anderen neun Abgeordneten wären ohne uns überhaupt keine Mitglieder des Bundestages. Sie lassen uns sozusagen doppelt im Stich und „stehlen“ die Mandate der Linken. Im Moment sind wir alle fraktionslose Einzelabgeordnete, können keine Anträge auf die Tagesordnung setzen, keine Kleinen oder Großen Anfragen stellen und haben viele andere Rechte nicht. Natürlich versuchen wir uns, so gut es geht, zu koordinieren und abzustimmen, aber der Verlust der Fraktion ist eine schwere Beeinträchtigung. Und über 100 Mitarbeitende sind nun erstmal arbeitslos.

Wird mit dem Ausscheiden von Sahra Wagenknecht und den anderen MdB die Arbeit in der Gruppe einfacher als in der Fraktion?

Bestimmte Diskussion werden nicht mehr geführt und die Atmosphäre ist offener, solidarischer. Aber wenn statt 38 nun 28 MdB die Arbeit machen müssen, wird das nicht leichter. Es bleibt zu hoffen, dass unser Antrag auf den Gruppenstatus nicht auf die lange Bank geschoben wird. Aber wir werden uns auch so Gehör verschaffen.

Du vertrittst Die Linke vor dem BVerfG zur Wahlrechtsreform. Warum will die Linke gegen diese Reform klagen?

Die Ampelkoalition hat darauf verzichtet, einen breiten Konsens im Parlament über die Wahlrechtsreform herzustellen. Stattdessen werden nun mit der Streichung der Drei-Direktmandats-Klausel und der Bindung von Direktmandaten an das Überschreiten der 5 %-Hürde durch die jeweilige Partei regional verankerte Parteien direkt benachteiligt und potenziell aus dem Bundestag ausgeschlossen. SPD, Grüne und FDP versuchen, sich mit dem Wahlrecht politischer Konkurrenz zu entledigen. Was ist das für ein Wahlrecht, bei dem Direktkandidatinnen und -kandidaten mit den meisten Stimmen der Einzug in den Bundestag verwehrt werden kann? Die Drei-Direktmandats-Klausel und die 5 %-Hürde sind wie kommunizierende Röhren. Wenn man das eine abschafft, muss man das andere senken.

Vorgezogene Neuwahlen sind nicht mehr ausgeschlossen. Warum sollten die Menschen wieder Die Linke in den Bundestag wählen?

Weil sonst das Linkeste im Bundestag Olaf Scholz wäre. Ich darf doch wohl bitten. Das kann niemand ernsthaft wollen, dem soziale Gerechtigkeit und reale Friedenspolitik am Herzen liegen.

In diesem Jahr ist die Europawahl. Mit welchem Argument willst du die Menschen bewegen, zur Europawahl zu gehen?

In Europa wird inzwischen sehr vieles entschieden, was unser Leben direkt betrifft. Deshalb ist es wichtig, sich bei der Europawahl gut zu überlegen, wem man seine Stimme gibt.

In Ostdeutschland stehen drei Landtagswahlen an. Die Umfragen für Die Linke sind nicht berauschend. Wie können wir Die Linke im Osten wieder stark machen? Was hilft gegen die AfD?

Wir müssen uns auf die Kernthemen konzentrieren: 1. Reale Friedenspolitik, 2. Deutlich mehr soziale Gerechtigkeit einschließlich Steuergerechtigkeit, 3. Ökologische Nachhaltigkeit, immer in sozialer Verantwortung, darauf müssen wir achten, 4. Die Gleichstellung von Frau und Mann, 5. Die Gleichstellung von Ost und West. Und wir müssen uns um die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort kümmern, also wieder eine Kümmererpartei werden.

Du willst bei der kommenden Bundestagswahl wieder antreten. Was können die Köpenickerinnen und Köpenicker von dir erwarten?

Das habe ich noch nicht entschieden. Jetzt müssen wir erstmal Die Linke wieder auf die Beine bringen. Und dann sehen wir mal, welches Wahlrecht überhaupt gilt.