Offenes Forum

„(K)eine weitere Wahlanalyse“

oder:

„Wie können linke und sozialdemokratische Parteien unter ungünstigen Bedingungen Wahlen gewinnen?“

Aus Anlass des Wahlergebnisses vom 26. September 2021 thematisierten Genoss:innen und Interessierte in kleiner Runde ein historisches und ein aktuelles Wahlergebnis linksorientierter Parteien.

Gründlichst recherchiert und vorgestellt von Michael Rohr

„(K)eine weitere Wahlanalyse“
oder:
„Wie können linke und sozialdemokratische Parteien unter ungünstigen Bedingungen Wahlen gewinnen?“

waren die Ausgangspunkte für die lebhafte Debatte:

  • Die Bundestagswahl von 1972
  • Die Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen 2021 in Graz, Österreich

Beiden Wahlen war gemeinsam, dass sie in schwierigen Situationen stattfanden und dass die beiden linksorientierten Parteien – die SPD in der alten Bundesrepublik Deutschland und die KPÖ in Graz – siegreich hervorgingen und ihr historisch bestes Ergebnis erzielten.

Was waren die Gründe für dieses gute Abschneiden in ungünstigen Ausgangssituationen?

„Mehr Demokratie wagen“. Der Wahlkampf der SPD.

Die Voraussetzungen für eine sozialdemokratisch geführte Regierung waren 1972 denkbar schlecht. Vorangegangen war zunächst eine 20-jährige Periode (1949 -1969), in der die Union durchgehend die stärkste Partei war und den jeweiligen Bundeskanzler stellte, von 1966 – 1969 in einer Großen Koalition mit den Sozialdemokraten. Diese wurde 1969 – 1972 durch eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten unter Bundeskanzler Willy Brandt abgelöst. In diesem Zeitraum verlor die sozialliberale Koalition durch Mandatswechsel mehrerer Abgeordneter ihre handlungsfähige Mehrheit. Obwohl ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Willy Brandt scheiterte, war die Koalition nicht mehrheitsfähig und es wurden vorgezogene Bundestagswahlen angesetzt.

Es kam zu einer heftigen Wahlschlacht, bei der die Union massive Unterstützung in Höhe von ca. 100 Millionen DM durch die deutsche Wirtschaft erhielt. Der angstmachende Wahlslogan „Freiheit statt Sozialismus“ sollte Ängste vor der „Roten Gefahr“ wecken und verstärken. Die Umfrageergebnisse zwischen Frühjahr und Herbst 1972 deuteten auf eine Wahlniederlage der Sozialdemokraten hin (Umfrage 14. - 20.09: Union: 51 %, SPD: 41 %, FDP: 6 %) und ließen mehrere führende Genossen nicht an einen Wahlsieg glauben.

Dem gegenüber standen erste Erfolge der sozialliberalen Koalition, die viele innenpolitische Reformen eingeleitet hatte, z.B. eine Ausweitung des Sozialstaats, eine Bildungsreform, Rechtsreformen u. A. In der Außenpolitik wurde die Verständigung mit den Ostblockstaaten gesucht („Neue Ostpolitik“), die in der Folge vertraglich abgesichert wurde.

Am Wahlabend stand fest,

  • dass die Wahlbeteiligung von 91,1 % die höchste war, die jemals bei Bundestagswahlen erzielt wurde
  • und dass die SPD erstmals die stärkste Bundestagsfraktion bilden konnte (Wahlergebnis der Bundestagswahlen vom 19.11.1972: SPD: 45,8 %, Union: 44,9 %, FDP: 8,4 %).

Wie gelang es der SPD, zu gewinnen und das beste Wahlergebnis in ihrer Geschichte zu erzielen?

Sie erreichte es durch eine breit aufgestellte, erfolgreiche Reformpolitik für die Mehrheit, die verschiedene Wählergruppen ansprach. Dem Inflations- und Sozialisten-Geschrei der Union „Moskau wählt Brandt .... und Sie?“, der Wirtschaft und der Springer Presse begegnete die SPD offensiv und setzte ihm ein „Mehr Demokratie wagen“ und die Kampagne „Erfolg von 109 Jahren Demokratischem Sozialismus“ entgegen.

Sie erreichte den Sieg auch durch das geschlossene, solidarische Auftreten der Sozialdemokraten, die Unterstützung durch ihre Mitglieder in den zahlreichen Ortsverbänden und durch Mobilisierung von Sympathisant:innen, darunter viele bekannte Künstler:innen und Journalist:innen.

Darüber hinaus trugen sicher auch die Persönlichkeit und Ausstrahlung von Willy Brandt zu dem Wahlergebnis bei, ebenso wie die professionell und offensiv geführte Wahlkampfkampagne mit aussagekräftigen, prägnanten Slogans: „Deutsche. Wir können stolz sein auf unser Land. Wählt Willy Brandt.“ Die Angst vor Reformen wurde mit „Wer morgen sicher leben, muss heute für Reformen kämpfen“ adressiert.

In der folgenden Diskussion wurden mehrere Punkte herausgestellt:

  • Es ließen sich auf Bundesebene nicht unbedingt Parallelen ziehen zwischen dem Abschneiden einer Partei, die bereits mehrere Jahre an der Regierungsverantwortung beteiligt war, mit dem Abschneiden einer Partei wie der LINKEN, die bisher „nur“ auf Landes- und Kommunalebene in Regierungskoalitionen und sonst in der Opposition aktiv sei.
  • Die Situation 1972 war viel komplexer, als sie in der kurzen Zusammenfassung dargestellt werden konnte. Es ließ sich auch nicht klar einordnen, wie viele Stimmen auf das Konto von Willy Brandt gingen, dem gegenüber der Kanzlerkandidat der Union Rainer Barzel ein blasseres Profil hatte.

„Wir sind alle sind Graz“ - der Wahlkampf der KPÖ Graz.

Am 26.09.2021 hat die Kommunistische Partei Österreichs bei der Kommunalwahl in Graz, der Landeshauptstadt der Steiermark, unerwartet das Rathaus erobert. Die Österreichische Volkspartei ÖVP wurde nach 18 Jahren abgewählt.

Die Stadtregierung in Graz beruht auf einem Proporzsystem, ähnlich wie in den Berliner Bezirksämtern. Dabei gibt es dort keine Prozenthürde.

Die ÖVP und ihr 18 Jahre lang amtierender Bürgermeisters hatten eine sozial ungerechte Wohnungsbau- und Mietenpolitik betrieben, dem die KPÖ, ebenfalls seit Jahrzehnten im Gemeinderat vertreten, eine glaubwürdige Arbeit für eine bessere Sozialpolitik entgegensetzte. Ein Schwerpunkt der KPÖ, die bis zur vorletzten Wahl die Stadträtin für Bau stellte, war der Einsatz für eine konsequente Politik für Mieter*innen. Seit 1992 betreibt die KPÖ in Graz den sogenannten "Mieternotruf" - für Fragen nach Mieterhöhungen, Betriebskosten-Abrechnungen, Kündigungs- und Räumungsklagen.

Nach der letzten Wahl wurde der KPÖ das Bauressort „weggenommen“, um sie zu schwächen. Das Verkehrsressort, das sie stattdessen erhielt, nutzte sie für eine Profilierung in diesem Bereich. Darüber hinaus spendet die KPÖ Graz einen Großteil der Gemeinderats- und Stadtratsbezüge in einen Sozialfond und für soziale Projekte.

Durch ihre jahrzehntelange Arbeit im Stadtrat gelang es der KPÖ sich als eine Partei zu etablieren, die sich glaubwürdig für Sozialpolitik einsetzt. Die KPÖ-Wahlsiegerin, Elke Kahr, gilt als bodenständig, sachkundig, verlässlich und ist seit bald drei Jahrzehnten in der Kommunalpolitik aktiv. "Was wichtig ist: dass man vor allem auf jene achtet, die es dann schlichtweg schwerer haben - egal, ob sie arbeiten oder arbeitsuchend sind, ob es ältere Menschen oder Jüngere sind", sagte Kahr dem ORF. Da dürfe man niemanden ausschließen. "Und ich stehe absolut für ein Weltbild und eine Gesellschaft, die zusammenführt und nicht trennt." (Tagesschau)

Wie gelang es der KPÖ Graz, zu gewinnen?

Die KPÖ hatte ihr Wahlprogramm breit aufgestellt und zeigte damit, dass Klassenpolitik und Identitätspolitik kein Widerspruch sind. Die Spitzenkandidatin Elke Kahr verfügt über großes Ansehen. Geschlossenheit und „Handeln statt Reden“, der konsequente langjährige Einsatz gegen soziale Missstände, konnten sich so auch gegen die antikommunistischen Slogans der ÖVP durchsetzen.