Halbirrtümer und Sechzehntelwahrheiten

Zu den Argumenten pro Tempelhof


von Peter-Rudolf Zotl (MdA) 

Die Argumente für Tempelhof gründlich prüfen

Sind wirklich 70 Prozent für Tempelhof?

Wäre die Stilllegung von Tempelhof wirklich ein finanzieller und Standortverlust?

Würde Tempelhof ohne Flugbetrieb wirklich verkommen?

Würde Berlin ohne Tempelhof zu einer Kreisstadt?

Kann Tempelhof Schönefeld entlasten?

Verspielt der Senat Berliner Arbeitsplätze?

Setzt sich der Senat arrogant über das Volk hinweg?




Die Argumente für Tempelhof gründlich prüfen

In diesen Tagen erhalten alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger die Abstimmungsbenachrichtigung für den Volksentscheid „Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen“ am 27. April. Wie vom Gesetz vorgeschrieben, werden in diesem Zusammenhang die Argumente sowohl der Befürworter (Initiative „Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof - ICAT“) als auch der Gegner (Senat und Abgeordnetenhaus von Berlin) dargelegt.

Bei uns zu Hause war die Abstimmungsbenachrichtigung am 1. April im Briefkasten. Entgegen meiner ersten Annahme handelt es sich bei der ICAT-Argumentation für die Offenhaltung von Tempelhof aber nicht um einen Aprilscherz. Jedoch wird deutlich: Zu den Großunterstützern der ICAT gehört der Springerkonzern, und genau das merkt man der ICAT-Argumentation an. Um es höflich mit dem großen deutschen Schriftsteller Günther Weisenborn auszudrücken: „In dem dialektischen Kampf zwischen Irrtum und Wahrheit sind das Gefährlichste die Halb- und Achtelirrtümer, die mit Sechzehntelwahrheiten zusammen in einen Satz gesperrt werden.“ Wo Springer dahinter steht, ist solch ein Mix von Halb- und Achtelirrtümern sowie Sechzehntelwahrheiten zu erwarten, und man wird nicht enttäuscht…

Sind wirklich 70 Prozent für Tempelhof?

„Über 70 Prozent der Berliner sind für den Erhalt von Tempelhof.“ So beginnt die ICAT-Argumentation. Das ist wissentlich falsch. Richtig ist hingegen: 74 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wollten, dass sich der Senat an das Ergebnis des Volksentscheides halten solle. Den eigentlichen Gegenstand des Volksentscheides, nämlich die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof, bejahten aber nicht über 74, sondern 34 Prozent.

Wäre die Stilllegung von Tempelhof wirklich ein finanzieller und Standortverlust?

Unter vierfacher Verwendung des Wortes „verlieren“ beschwört die ICAT-Argumentation einen angeblich unersetzbaren Verlust, wenn Tempelhof geschlossen werden würde:

  • Mit der Schließung von Tempelhof würde Berlin „jedes Jahr viele Millionen Euro verlieren“, heißt es. Das ist grundfalsch: Der Flugbetrieb in Tempelhof bringt keine vielen Millionen Euro, sondern er kostet jedes Jahr bis zu 17 Millionen Euro an Steuergeldern. Tatsächliche Gewinne werden hingegen in Schönefeld (und zurzeit noch in Tegel) erwirtschaftet. Auch bei der von ICAT immer wieder ins Feld geführten privaten Finanzierung Tempelhofs würde das Land Berlin nicht aus der finanziellen Verantwortung entlassen, denn z.B. die Flugsicherheit und die urbane Lebensqualität bleiben in staatlicher (finanzieller) Verantwortung.
  • Weiter heißt es bei ICAT: Mit der Schließung von Tempelhof würde Berlin „einen unschätzbaren Standortvorteil verlieren“. Dass Tempelhof ein Standortvorteil sei, ist lediglich behauptet, aber die Tatsachen sprechen eine andere Sprache: Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die Fluggesellschaften bereits aus Tempelhof verabschiedet und wickeln auch den stetig anwachsenden Geschäftsverkehr von Tegel und Schönefeld aus ab. Zumal nach dem Ausbau des Autobahnschlusses und der S-Bahn von Schönefeld das Zentrum der Stadt schneller erreichbar sein wird als in noch verbliebenen innerstädtischen Flughäfen.
  • Mit der Schließung von Tempelhof, behauptet ICAT, würde Berlin „viele Arbeitsplätze in der Stadt verlieren“. Auch das stimmt nicht: Mit einer öffentlichen Nutzung von Tempelhof würden viele Arbeitsplätze entstehen. Wenn das über 360 ha große Gelände des Flughafens Tempelhof eine neue und diesmal für alle Berlinerinnen und Berliner sowie ihre Gäste öffentliche Nutzung erhält, werden die Chancen und damit die Zahl der Arbeitsplätze um dieses Gelände rasant steigen und die wenigen gegenwärtig noch in Tempelhof verbliebenen Arbeitsplätze weit übertreffen.
  • Schließlich lesen wir bei ICAT: Mit der Schließung von Tempelhof würde Berlin „ein Wahrzeichen verlieren“. Das Berliner Wahrzeichen Tempelhof wird nicht geschliffen, sondern bleibt. Das unter Denkmalschutz stehende Flughafengebäude sowie die vielfältigen gegenständlichen Erinnerungen an die Anfänge der Luftfahrt, an die Rolle des Flughafens in der Zeit der Blockade, der geteilten Stadt sowie als Ausreisemöglichkeit für Millionen DDR-Flüchtlinge in die westliche Welt bleiben natürlich bestehen. Es gibt lediglich keinerlei zwingenden Grund, wegen der historischen und symbolischen Bedeutung die Funktion eines von der Flugsicherheit gefährlichen und ökologisch riskanten Flugbetriebes – worauf übrigens die ICAT nirgends eingeht – aufrecht zu erhalten. Wenn es einen solchen Zusammenhang gäbe, dürfte z.B. die CDU nur dann für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses eintreten, wenn gleichzeitig die Monarchie wieder eingeführt wird…

Würde Tempelhof ohne Flugbetrieb wirklich verkommen?

Ohne Flugbetrieb sieht die ICAT Tempelhof als „innerstädtische Brachfläche und Spekulationsobjekt“. Auch diese Horrorvision der ICAT entbehrt jeglicher Grundlage. Man muss nur in das Flughafengebäude Tempelhof gehen und sich die Ausstellung mit Nachnutzungsideen des Senats ansehen: Etwa 200 der etwa 360 ha sollen für öffentliche Erholungs-, Freizeit- und Sportanlagen, für Parks und Biotope zur Verfügung stehen. Auf der anderen Fläche soll ökologischer Wohnungsbau stattfinden, ebenso wie an eine Ansiedlung von Öko-Forschung und -Produktion gedacht ist. Starkes Interesse besteht daran, Teile der dann ehemaligen Flughafenanlagen für ein international einmaliges und sicher stark frequentiertes Museums- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Flugwesens zu nutzen. Tempelhof würde also nicht nur nicht verkommen, sondern durch diese neue Öffnung erst richtig aufblühen.

Würde Berlin ohne Tempelhof zu einer Kreisstadt?

Die ICAT-Argumentation behauptet, mit Tempelhof wäre Berlin eine Weltstadt, ohne Tempelhof eher eine Kreisstadt. Es ist natürlich bodenloser Unsinn, an der Existenz eines gefährlichen innerstädtischen Flughafens den Status einer Weltstadt festmachen zu wollen. Im Gegenteil wurden und werden in vielen Weltstädten innerstädtische Flughäfen aus Gründen der Flugsicherheit und der ökologischen Vernunft geschlossen, in Deutschland z.B. in München. Und ebensolcher Unsinn ist die Behauptung, dass in anderen Metropolen bewusst innerstädtische Flughäfen gebaut werden würden. Das trifft lediglich auf London zu. Und der liegt viel weiter von der Innenstadt entfernt als es Schönefeld vom Berliner Zentrum ist. Mehr noch: Nirgendwo in der Welt würde der Flughafen Tempelhof – wäre er jetzt erst gebaut – aus Sicherheits- und Lebensqualitätsgrünen überhaupt eine Betriebserlaubnis bekommen.

Kann Tempelhof Schönefeld entlasten?

Tempelhof könne Schönefeld sinnvoll ergänzen und entlasten, denn „zahlreiche Studien und Experten bestätigen“, dass Schönefeld mit zu geringer Kapazität geplant worden sei. Auch das stimmt nicht. Die ICAT wäre nicht die erste Initiative, die sich Gefälligkeitsgutachten einholt. Die Planungen für Schönefeld gehen sowohl von einer langfristigen Entwicklungsanalyse des Flugverkehrs als auch davon aus, dass der gesamte Flugverkehr vom Flughafen Berlin Brandenburg Internationale (BBI) in Schönefeld – also einem „Singleflughafen“ – realisiert wird. Sollte es im Laufe der Jahrzehnte tatsächlich zu einem Kapazitätsengpass kommen, kann Schönefeld erweitert werden, ohne dass – wie in Tempelhof – die Umwelt, das Leben und die Lebensqualität von Millionen gefährdet werden würde.

Verspielt der Senat Berliner Arbeitsplätze?

„Tempelhof sichert Berliner Arbeitsplätze“, heißt es bei ICAT. Es wird so getan, als ob Tempelhof eine Jobmaschine wäre. Tatsache ist, dass die Zahl der Arbeitsplätze in Tempelhof dramatisch zurückgegangen ist. Um wirklich rentabel und damit Arbeitsplätze schaffend zu sein, müssten in Tempelhof etwa 50.000 Flugbewegungen im Jahr stattfinden. Das wären täglich in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr alle fünf bis sechs Minuten ein Start bzw. eine Landung. Abgesehen von dem überhaupt nicht wünschenswerten Sicherheitsrisiko sowie von der Belastung der Umwelt und der Lebensqualität, wird das auch bei einer privaten Nutzung als Geschäftsflughafen nie erreicht werden, und auch die behauptete Entlastungsfunktion für Schönefeld würde eine solche Quote nie bringen. Tatsächlich eine Jobmaschine für die gesamte Region ist Schönefeld, denn schon heute entstehen täglich zwei neue Arbeitsplätze, und bei Vollbetrieb werden es mindestens 40.000 sein.

Setzt sich der Senat arrogant über das Volk hinweg?

  • "Der Senat will vollendete Tatsachen schaffen“, er ignoriere der Bürgerwillen, „so kann man mit dem Volk nicht umgehen“, heißt es bei ICAT. Damit meint man aber nicht den Diepgen-Senat, der genau das getan hatte. Es gab damals ernsthafte Erwägungen, den Großflughafen in Sperenberg, auf dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Militärflughafens Wünsdorf, zu errichten, weil dort das Gefährdungspotenzial noch geringer gewesen wäre.
  • Vollendete Tatsachen wurden dann 1996 mit dem so genannten Konsensbeschluss geschaffen. Der Bund (Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann, CDU) sowie die Länder Berlin (Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, CDU) und Brandenburg (Ministerpräsident Manfred Stolpe, SPD) besiegelten damals den Standort Schönefeld als Singleflughafen sowie die schrittweise Schließung von Tempelhof und Tegel. Das war eine politische Entscheidung, die durch einen Volksentscheid tatsächlich hätte gekippt werden können. Aber zu dieser Zeit sah die Berliner Verfassung für Volksentscheide eine Häufung von Ausschlussgründen und so hohe Hürden vor, dass gar keine Chance bestand, einen Volksentscheid zustande zu bringen.
  • Erst unter Rot-Rot wurden 2005 bezirkliche Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu einmalig günstigen Bedingungen möglich, und 2006 wurden die überhohen Hürden für landesweite Volksbegehren und Volksentscheide abgebaut sowie die Ausschlussgründe weitestgehend aufgehoben. Erst seitdem kann in Berlin – und da sind wir bundesweite Spitze – das Volk über alles entscheiden, worüber in den Bezirken die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und auf Landesebene das Landesparlament (das Abgeordnetenhaus) Entscheidungen treffen kann.
  • Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die direkte Demokratie nicht über eine Angelegenheit entscheiden kann, zu der auch das Parlament keine Entscheidungsbefugnis hat. Und so ein Fall liegt hier vor: Die politische Entscheidung war der Konsensbeschluss von 1996, und alles andere ist vollziehendes Verwaltungshandeln. Und darauf haben weder das Parlament noch die direkte Demokratie bindenden Einfluss, abgesehen davon, dass der Senat eine Dreiervereinbarung nicht einseitig kündigen könnte.
  • Deshalb kann – wie auch das Abgeordnetenhaus es nur könnte – ein erfolgreicher Volksentscheid nur appellierende Wirkung haben, dem in diesem Falle nicht gefolgt werden muss und rechtlich auch nicht kann. Das ist mehrfach gerichtlich bestätigt. Den Grundsatz „Alle Macht geht vom Volke aus“, mit dem ICAT auf Großplakaten wirbt, hat die CDU mit Füßen getreten, als sie zu dem Zeitpunkt, da die politischen Entscheidungen getroffen wurden, dem Volke diese Macht verweigert hatte.
  • ICAT verschweigt im Übrigen alle Sicherheits-, ökonomische, ökologische und juristische Gründe, die eindeutig für die Schließung des Flugbetriebes in Tempelhof sprechen.

Gehen Sie den Viertel- und Achtellügen sowie Sechzehntelwahrheiten von Pro Tempelhof nicht auf den Leim!

Nehmen Sie am 27. April 2008 am Volksentscheid teil!

Stimmen Sie mit Nein!

Damit die Vernunft ihre Mehrheit behält.