PDS macht rüber nach Westberlin

Reinickendorf historisch

Mitgliederzahlen dümpeln vor sich hin, aber Wahlergebnisse können sich schon sehen lassen        

Von Andreas Fritsche (Neues Deutschland)

»Geht doch rüber!« ist ein Vorschlag, dem sich Mitglieder der PDS im Westen Berlins oft ausgesetzt sehen. Hartnäckig hält sich die Meinung, bei den Genossen handele es sich um zugezogene Ostler. Doch bei genauerem Hinschauen erweist sich das Vorurteil als falsch.

Kein Erbe der SEW

Der gebürtige Dresdner Peter Müller, seit kurzem Bezirksvorsitzender in Tempel­hof-Schöneberg, bildet eine Ausnahme. Auch der Gedanke, die Westberliner PDS bestehe im Wesentlichen aus ehemaligen Mitgliedern der Sozialistischen Einheits­partei Westberlins (SEW) erweist sich als nahe liegend und dennoch unzutreffend. »Wenn das >Neue Deutschland< schreibt, wir seien alle von der SEW, wird es abbe­stellt«, droht Jörg Kuhle aus Spandau, der selbst lange Jahre der SEW angehörte.

Dass die Westberliner PDS keine Nach­folgepartei der SEW ist, kann er mit Zah­len beweisen. 12 000 Mitglieder habe die Partei in den 70er Jahren gehabt. Noch immer 7000 bis 8000 vor dem Fall der Mauer 1989. Heute stehen lediglich 430 Westberliner in den Beitragslisten der PDS. Nur 10 von 40 Spandauer Mitglie­dern haben eine SEW-Vergangenheit. Warum nicht mehr von der SEW zur PDS wechselten, erklären Beobachter mit tie­fer Resignation nach dem Mauerfall. Erst habe man die Politik der SED jahrelang zum Teil gegen die eigene Überzeugung in Schutz genommen, dann fühlte man sich im Stich gelassen.

Heute ist die PDS im Westteil der Stadt eine bunte Truppe. Farbtupfer steuerten ehemalige Grüne und Sozialdemokraten, Parteilose und Gewerkschafter bei. Im multikulturellen Bezirk Neukölln bringen sich Türken, Kurden und Griechen ein. Einige Genossen in Reinickendorf haben sich lange vor SEW-Gründung organisiert. Sie gehörten schon der KPD an.

Diesen Genossen weht im Westen ein scharfer Wind entgegen. Dass man ihnen den Infostand umwerfen oder sie am liebsten gleich aufhängen will, erleben sie noch immer. Allerdings seltener als in ver­gangenen Jahren.

Puhdys und Berufsverbot

Kein Vergleich mehr mit den Zeiten der SEW. Martin Buys, in den 70er Jahren bei der Einheitspartei, erinnert sich noch gut an die einst berechtigte Angst vor Berufs­verbot. Er war seinerzeit in einer gehei­men Betriebsgruppe für die gefährdete Gruppe der Beamten und der Beschäftig­ten im öffentlichen Dienst organisiert. Zu den Regeln gehörte, dass man sich nicht untereinander anrief. »Weil niemand ge­nau wusste, ob das Telefon vom Verfas­sungsschutz abgehört wird«, begründet Buys diese Maßnahme. Zu Versammlungen ins Parteibüro in Wedding durfte er damals nur allein gehen. Gruppen könn­ten auffällig sein. Selbst dass er Fan der DDR-Rockgruppe Puhdys war, hat Buys vor 1989 nie mit seinen Arbeitskollegen besprochen. Dafür hätten zwar keine Re­pressalien gedroht. Doch dass es unter den Kollegen weitere Fans gab, bemerkte er erst nach der Wende.

Das SEW-Büro in Wedding hat die PDS ge­erbt. Leider erwies es sich als wenig ge­eignet. Kürzlich ließ der Landesvorstand die Qualität der Geschäftsteilen durch ei­nen Praktikanten untersuchen. Das Test­ergebnis bescheinigte fast allen Westbü­ros miserable Noten Die positive Aus­nahme bildete der Rote Laden in Reini­ckendorf.

Trotzdem nennt der stellvertretenden Landesvorsitzende Udo Wolf den Aufbau der PDS in Westberlin eine »Erfolgsge­schichte«. Wolf ist gelernter Westler und im Landesvorstand für die Westbezirke zuständig. Seine politische Karriere führte von einer trotzkistischen Gruppe über die grüne Alternative Liste hin zur PDS.

Von einer Erfolgsgeschichte spricht Wolf im Hinblick auf die Wahlergebnisse. Die wurden seit 1990 von Promille-Er­gebnissen auf um die drei Prozent gestei­gert. Bei der letzten Wahl reichte es in acht Westbezirken immerhin für insgesamt 13 PDS-Vertreter in den lokalen Parlamen­ten. Dabei konnte sich die PDS nicht wie einst die Grünen aus einer sozialen Bewe­gung heraus entwickeln, merkt Wolf an.

Die Mitgliederzahl dümpelt indessen weiter vor sich hin. Unter anderem, weil Leute, die aus dem Westen zur PDS kom­men, an bestimmten Fachgebieten inte­ressiert sind. Da die kleinen Bezirksver­bände im Westen diese Themen nicht alle abdecken können, organisieren sich solche Leute im Osten, berichtet Wolf. Dann jedoch fehlen sie vor Ort zum Strukturauf­bau in den westlichen Kiezen. Anderer­seits verweist der PDS-Politiker auf die internen Auseinandersetzungen der ver­schiedenen alternativen Gruppen, aus de­nen sich die PDS und ihr Umfeld im Wes­ten zusammensetzen. Deshalb habe die Partei dort wie ein »Durchlauferhitzer« funktioniert. Leute seien gekommen, aber auch wieder gegangen.

Immerhin haben diese Streitereien nach Einschätzung von Wolf in den letzten Jahren abgenommen. Perspektivisch hoffe man auf neue junge Mitglieder, die von den Sozialdemokraten und den Grü­nen politisch enttäuscht seien.

Ziel: Fraktionsstärke

Befragt nach den Wahlzielen, hört man in den westlichen Bezirksverbänden immer wieder: In Fraktionsstärke, also mit min­destens drei Vertretern, ins Bezirkspar­lament einziehen und die absolute Mehr­heit der CDU brechen. Dafür braucht es in der Regel fünf bis sechs Prozent der Stim­men. Das mag sich bescheiden ausneh­men, stellt doch im Osten die PDS teilweise die absolute Mehrheit. Doch der Westauf­bau ging auch in Berlin langsamer voran, als es sich die Spitzen der Partei Anfang der 90er Jahre erträumte.

Für Berlin möchte Vize-Landeschef Wolf die »Verankerung in der Kommunal­politik« nicht über das mögliche Mitregie­ren auf Landesebene stellen. Zwar müsse den Westberlinern begreiflich werden, dass es die PDS auch in ihrem Kiez gibt. Doch letztlich sei das eine so wichtig wie das andere. Zwischen Landes- und Be­zirkspolitik gebe es eine »Wechselbezie­hung«.