Rede von Peter Neuhof bei der Verlegung des Stolpersteins für Karl Neuhof

Dieser Stolperstein soll an Karl Neuhof, meinen Vater erinnern, der dieses Haus, vor dem wir uns versammelt haben, in den frühen Morgenstunden des 10. Februar 1943 verließ um nie wieder dorthin zurückzukehren. Mein Vater war Jude, meine Mutter nach der Sprachschöpfung der Braunen eine sog. Arierin.

Karl Neuhof arbeitete in einer jüdischen Import - und Exportfirma, die nach anfänglichem Boykott 1933 bis zur Pogromnacht noch geduldet wurde. Mehr schlecht als recht.  Dann aber kam das Ende und für Karl Neuhof  begann die Zeit als Hucker auf Baustellen  und schließlich als Zwangsarbeiter in der Judenkolonne der Farbenfabrik Warnecke und Böhm in Weißensee.
Nach den Erlebnissen des 1. Weltkrieges, den er als Frontsoldat -  und mehrfach schwer verwundet - überlebte, fand er den Weg zur KPD, ein ungewöhnlicher Weg für einen Mann, der nicht gerade in der Armut zu Hause war, aber gerade deshalb für jene ein Herz besaß, die in den berühmten Zwanzigern im Abseits leben mussten. Eine neue, eine andere Welt sollte entstehen.

Im benachbarten Glienicke fand er viele Gleichgesinnte, die auch nach 1933 zusammenhielten, Flugblätter entwarfen, Verfolgte unterstützen.

Es war die Zeit, in der damalige Eigentümer des Hauses Zeltinger Str. 65 uns nicht länger in seinem Haus dulden wollte  und folgendes schrieb: ”Besondere  Veranlassung zu der Kündigung  gibt mir trotz wiederholter Ermahnung der zeitweise  lebhafte Besuch ehemaliger politischer Freunde und sonstiger  Anhänger  bei Ihnen als Nichtarier, sodass im Allgemeinen eine politische  Tendenz zu erblicken wäre. Ferner bin ich durch die Beschwerden der Mitbewohner, teils aus eigener  Erfahrung, gezwungen, die Kündigung auszusprechen, weil auch eine Hausgemeinschaft mit Ihnen als Nichtarier abgelehnt wird.“ Der Mann war nicht einmal ein Nazi, aber dem Juden wollte er es doch zeigen, dem Juden und Kommunisten. Ein kleiner Denunziant. Auf der Höhe der Zeit.

Warum wir nicht auswanderten?
Da war die alte Mutter meines Vaters, wer wollte sie schon aufnehmen? Da benötigte man für die USA ein sog. Affidavit, eine Bürgschaft. Wer sollte sie einem geben?  Vielleicht zu Freunden, die schon in Brasilien lebten. Auch das klappte nicht. Die Einwanderungsquote war viel zu gering. Schließlich das Auswanderungsverbot. Und die Welt arrangierte sich mit Hitler, machte Zugeständnisse über Zugeständnisse. Meine Familie lebte in ständiger Sorge um das Morgen, Diskriminierung auf Diskriminierung. Juden waren Freiwild, keine Reichsbürger mehr. Trotz der ständigen Bedrohung und Verfolgung oder gerade deshalb weil nur das Ende der Nazizeit ihnen wieder ein Leben in Freiheit garantierte,  gewährten meine Eltern Anfang 1943 einem führenden Mitarbeiter der illegal tätigen Inlandsleitung der KPD Unterkunft. Keine leichte Entscheidung. Schließlich ging es dabei um Leben und Tod.

Aber einen Freund, der zusammen mit anderen den Versuch unternahm, zum Widerstand gegen das Hitlerregime aufzurufen, ließen wir nicht auf der Straße stehen.
Um es kurz zu machen. Die Gestapo kam durch Verrat auf die Spur der Gruppe, eine wahre Verhaftungswelle setzte ein. Mein Vater und meine Mutter waren davon ebenfalls betroffen.
Nach monatelange Untersuchungshaft wurde mein Vater in das KZ ´Sachsenhausen eingeliefert und dort am 15. November um 16 Uhr 20 erschossen. Meine Mutter erhielt zunächst eine Gefängnisstrafe wurde dann im September 1944 in das KZ Ravensbrück eingeliefert, bis an ihr Lebensende sollte sie dort bleiben, wie es ihr ein Gestapomann  zyisch sagte. Fast hätte es geklappt.

Meine Mutter überlebte den Todesmarsch und wurde in  den Maitagen 1945 von der Roten Armee befreit.

Der Freund meiner Eltern, wurde in den frühen Abendstunden des 10. Februar 1943 in unserer Wohnung verhaftet. Monate später wurde er hingerichtet. 50 weitere Angehörige dieser sog. Knöchel - Organisation fanden ebenfalls den Tod. Hingerichtet durch das Fallbeil oder ermordet in einem KZ.

Wenn ich hier heute auf jene Zeit zurückblicke dann muss ich natürlich auch an die vielen Angehörigen meiner Familie denken, die dem Rassenwahn zum Opfer fielen. An meine Großmutter, die in Theresienstadt sterben musste, an meine geliebte Tante, Schwester meines Vaters, die das KZ Ravensbrück nicht überlebte, an meinen Onkel, an eine weitere Schwester meines Vaters, an 16 engste Verwandte.

Ich selbst überlebte mit viel Glück, auch dank der  Unterstützung von Freunden.
Aber ich denke auch zurück an jenen Prozess, der in den siebziger Jahren in Westberlin gegen den Mann geführt wurde, der als Chef  der Gestapoleitstelle für die Deportation und damit für den Tod von 30000 Berliner Juden verantwortlich war. Der Mann wurde freigesprochen. Es konnten ihm keine niedrigen Beweggründe nachgewiesen werden!

Mein Dank gilt  allen, die sich zu dieser heutigen Ehrung  eingefunden haben. Vor allem Herrn Demnig, der der die Aktion Stolpersteine ins Leben gerufen hat, der VVN -BDA Reinickendorf, der Partei “Die Linke”, Herrn Pfarrer Abroscheit, der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine  Reinickendorf, Herrn Rohde vom Förderkreis für Bildung und Kultur, den vielen Helfern.
Möge auch dieser Stolperstein die Erinnerung an jene schreckliche ´Zeit wach halten, in der der braune Ungeist so viele Opfer forderte.