Unterschlupf Frohnau

Frohnau, Zeltinger Straße 65 - Wohnung von Karl Neuhof

Der 1891 im Hessischen geborene Börsianer Karl Neuhof lebte seit 1926 mit seiner Frau Gertrud in Frohnau. Da es in diesem Ortsteil der Besserverdienenden und Begü­terten nur sehr wenige Kommunisten gab, schlossen sie sich der KPD in Glienicke, ei­nem nördlichen Vorort Berlins, an. Hier konnten die (zerstrittenen) Arbeiterparteien nämlich die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Doch auch in der eher ruhigen Wohngegend des Berliner Nordens warfen die kommenden politischen Aus­einandersetzungen 1931 ihre ersten düsteren Schatten. Der Hermsdorfer Gerhard Weiß - Verlobter von Neuhofs Hausangestellter - wurde bei Wahlkampfstreitigkeiten von einem SA-Mann in Glienicke erschossen. Ab 1933 hatten Neuhofs unter zahlreichen Hausdurchsuchungen und Anzeigen zu lei­den, denn Karl Neuhof war für die Nazis als Kommunist und „Nichtarier" ein doppeltes Opfer. Als gesinnungstreuer Freund erwies sich dagegen der Nachbar Walter Hellige (Königsbacher Zeile 48). Der Kommunist und frühere Bankkaufmann hatte 1933 sei­nen Arbeitsplatz verloren und war nun gezwungen, mit Brot zu handeln.

Gertrud und Peter Neuhof erinnern sich 1983:
„Es war vermutlich 1935, als Heilige einen Kranz an den Baum in Glienicke band, wo Gerhard Weiß einst erschossen worden war. Die Tat wurde beobach­tet, Heilige angezeigt und mit zwei Jahren Zuchthaus bestraft. Walter Helle tat später sehr viel für unsere Familie. Er gab auch polnischen und russischen Zivilarbeitern Brot. Wenn man an seiner Haustür vorbei kam, hörte - man laut den [,Feind'-]Sender laufen!
Neben Denunzianten - die nach dem Kriegsende wieder freundlich grüßten - gab es unter den anwohnenden Frohnauern auch Verhaltensweisen, die zwi­schen Nazismus und Opposition lagen: Etwa ein Nachbar, ein hoher Polizeioffi­zier und anständiger Mann, der ausdrückte, dass es ihm peinlich war, uns anders zu behandeln. ‚Ich darf Sie nicht grüßen!‘
Übrigens konnte man auch mit dem Frohnauer Lebensmittelhändler Gondeck [offen] reden."

Im Laufe der 30er Jahre wurden die Bewegungsmöglichkeiten von Juden zunehmend eingeschränkt: Karl Neuhof hatte seinen Beruf als Börsianer früh verloren. Nachdem immer mehr jüdische Geschäfte und Betriebe liquidiert und „arisiert" worden waren, fand Neuhof 1938 dann nunmehr eine Beschäftigung als Bauhilfsarbeiter. Er durfte keine „deutschen" Theater und Museen mehr besuchen, 1939 nahm man ihm den Ra­dioapparat weg. In den Personalausweis wurde der Zwangsvorname „Israel" einge­tragen. Vor dem Tragen des Judensterns (seit dem 19. September 1941) schützte ihn die Ehe mit seiner „arischen" Frau. Während anderen Bewohnern Frohnaus ihre Le­bensmittelkarten ins Haus gebracht wurden, musste sich Familie Neuhof ihre einmal monatlich abholen.

Gertrud Neuhof:
„Dort wurden wir manchmal angebrüllt:
,Sind hier noch mehr Juden?` Außer uns waren es Vielleicht noch sechs Familien in Frohnau.
Dauernd herrichte diese Furcht, diese Unsicherheit."

Der Versuch, mit Hilfe des Büros Grüber noch rechtzeitig zu emigrieren, schei­terte. Die Anmeldenummer war sehr hoch, und emigrierte Verwandte stellten leider auch keine Hilfe dar. Eingeteilt durch das „Jüdische Arbeitsamt" (Kreuzberg, Fontane­promenade), mußte Karl Neuhof schließlich bis zum 10. Februar 1943, dem Tag seiner Verhaftung, Zwangsarbeit in einer Weißenseer Farbenfabrik leisten. Trotz eigener Gefährdung verschloß der Verfolgte Karl Neuhof nicht seine Tür, als ein Hilfesuchender Quartier erbat: Es war der frühere hessische Landtagsabgeordnete der KPD Wilhelm Beuttel (1900-1944), ein enger Mitarbeiter des Auslandsbeauftrag­ten der KPD Wilhelm Knöchel. (Die Widerstandsgruppe Knöchel bemühte sich beson­ders im Ruhrgebiet, Gegner der Diktatur aus allen Schichten anzusprechen und ver­suchte, darunter mit der Untergrundzeitung „Der Eriedenskämpfer", auf das Ausmaß der furchtbaren NS-Verbrechen hinzuweisen und die Deutschen wachzurütteln.)

Gertrud Neuhof:
„Wilhelm Beuttel war ein alter Freund aus dem hessischen Heimatort, der schon 1933 einmal bei uns war. Im Herbst 1942 erschien er*erneut und bat um Hilfe. Er war nun ZK-Beauftragter für Betriebsgruppenarbeit. Er kam aus Holland ohne  Geld, besaß keine Bescheinigung, keine Kennkarte - nichts! In Auslandskreisen [der KPD] wusste man wohl auch nicht, was in Deutschland los war!
Beuttels Kontaktmann in Berlin war Wilhelm Knöchel. Der Lungenkranke sollte  von Beuttel abgelöst werden. Es gab nur wenige Berliner, die über seine illegale Arbeit informiert waren, darunter Alfred Kowalke und das Ehepaar Garske. Viel wussten auch wir nicht."

Zunächst konnte Karl Neuhof für Wilhelm Beuttel nichts vermitteln. Als er niemanden fand, der ihm Unterschlupf gewährte, zog Beuttel dann im Januar 1943 endgültig zu Neuhofs nach Frohnau. Hier schriebe er für das illegale „Ruhr-Echo".

Peter Neuhof:
„Mein Vater wusste, dass diese Hilfeleistung den sicheren Tod bedeutete. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Sein Pflichtbewußtsein gegenüber dem Freund und Genossen, die Gegnerschaft zum NS-Regime und der Wille, Wider­stand zu leisten, geboten es ihm."

Neben dem Ehepaar Garske (langjährige Weddinger Kommunisten) und Alfred Kowal­ke war noch die junge Neuköllner Arbeiterfamilie Prüfer über Beuttels wahre Identität informiert. Bei ihr in Neukölln befand sich Beuttels Berliner Postanlaufstelle für Nach­richten aus dem Ruhrgebiet und aus Holland. Auch ein Wintermantel für den Illegalen ging an diese Anschrift. (Als der Auslandskontakt zeitweise abbrach, plante Beuttel, nach Holland zurückzukehren. Doch wie sollte er es ohne Papiere bewerkstelligen?)

Es gelang der Gestapo, die Neuköllner Anlaufstelle aufzuspüren. Als die Polizei dort nachfragte, wo die Briefe hingingen, erhielt sie zur Antwort: „Die Post wird von Neuhof aus Frohnau abgeholt." Nun wurde alles aufgerollt. Nicht jeder Verhaftete erwies sich gegenüber dem „Verhör" und den Quälereien als stark genug. Viele Namen wurden genannt. In ganz Deutschland (Schwerpunkt Ruhrgebiet) verhaftete man über einhun­dert Menschen. Neun überlebten bereits die Verhöre nicht. In Hamm wurden über 50 Mitglieder verurteilt. Mindestens 23 Angehörige der Knöchel-Gruppe erhielten vom Volksgerichtshof das Todesurteil.

„Dem Juden" Karl Neuhof machte man keinen Prozess, sondern steckte ihn ins KZ Sachsenhausen. Wie seine Frau bei ihrem Prozess im Januar 1944 erfuhr, war er be­reits am 15. November 1943 ermordet worden.

Zu diesem schweren Schicksalsschlag hatte Gertrud Neuhof auch die eigene Verfol­gung und Haft zu verkraften: Im Februar 1943 festgenommen, verurteilte man sie im Januar 1944 wegen „Begünstigung" zu einer Strafe, die durch die Untersuchungshaft abgegolten war. Ein halbes Jahr darauf verschleppte man Gertrud Neuhof ins KZ Ra­vensbrück, weil ihre Kontakte zu oppositionellen jüdischen und kommunistischen Kreisen (Emil Leo, Frau Dimentstein) - vermutlich durch einen Spitzel - bekannt ge­worden waren. Erst das Kriegsende brachte für sie die Befreiung.

Quelle:

Hans-Rainer Sandvoss: Widerstand in Pankow und Reinickendorf,
Berlin (Gedenkstätte Deutscher Widerstand), 1992, S. 137ff